Das Wunder von Macon, GB, FR, DE, NL 1993

mit Julia Ormond, Ralph Fiennes, Philip Stone, Jonathan Lacey
Regie: Peter Greenaway

Kurz nachdem er mit „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ und „Prospero`s Bücher“ in den Neunzigern endgültig zum Feuilltonliebling aufgestiegen war, rückte Greenaway seinem Publikum mit einem Film zu Leibe, der selbst hartgesottenen Kulturfreunden Bauchschmerzen bescherte und das unversöhnliche Gefühl, daß der kunstbeflissene Provokateur mit der Liebe zu schwelgerischen Tableaus und dem Hang zu moralischem Defätismus diesmal entschieden zu weit gegangen war. Kritiker und Zuschauer senkten den Daumen, die CINEMA veröffentlichte Leserbriefe, in denen Greenaway des Frauenhasses bezichtigt wurde und – noch schlimmer – des schlechten Geschmacks. Und in der Tat: DAS WUNDER VON MACON ist stärkster Tobak. Wo sich andere Greenaway-Filme mit der Andeutung begnügen, gibt es hier deftigste Splattereinlagen, wie man sie nur von George Romero kennt, kulminierend nicht zuletzt in einer Massenvergewaltigung, für die der Film berüchtigt ist, aber selbst dann ist noch nicht Schluß.

Inhaltlich rechtfertigt sich das durch den Rückgriff auf das vorelisabethanische Drama, als noch Menschen auf der Bühne geschlachtet wurden und das dann, im Zuge einer vor-snuffischen Erzähltradition, einfach mit in die Handlung eingebaut wurde. Shakespeare selbst hat ein solches Stück geschrieben (Titus Andronicus), was läge also näher, als die Grenzen zwischen Fiktion und Realität anhand eines solchen Stoffes zu verwischen. Nicht nur das Stück selbst, sondern auch die Reaktion des Publikums auf dieses Stück sind hier das Thema.

Der Plot: Eine vermeintlich jungfräuliche Empfängnis, die eigentlich bloß eine Vertuschungsaktion ist. Die anschließende Vereinnahmung des Neugeborenen durch die Kirche wird ebenso vorgeführt wie die Versklavung all jener, die sich den Machtmechanismen der Herrschenden nicht beugen mögen. Und immer wieder: die glotzende Masse – das Publikum, welches kommentiert, lacht, weint, leidet – aber eben nie eingreift oder an einer Änderung interessiert ist.

Gerade in seinen Massenszenen beeindruckt die Finesse des größtenteils in der Eissporthalle Troisdorf gedrehten Films, der die Grenzen der Machbarkeit im Zeitalter analogen Filmmaterials mit knapp fünfzehnminütigen Single-Shots auslotet – und das bei einem Heer genauestens choreographierter Statisten.

Und noch lang nachdem das bunte Treiben vor dem inneren Auge verblaßt ist, hat man an diesem Film zu knabbern. Unterm Strich bleibt eine misanthropische Weltuntergangsphantasie, die sich nahtlos in eine Liste mit Pasolinis SALO oder Godards WEEK-END setzen läßt und zu den bittersten Parabeln über die Natur des Menschen zählt. Wie so vieles von dem in Filmkreisen leider etwas aus der Mode gekommenen Greenaway unbedingt wiederentdeckenswert.

 

Bildquelle: www.bfi.org.uk