Berlinale 2023, die Erlösung

Da war sie plötzlich: die Erlösung. In Form von drei wilden, ungezähmten, ungehemmten Filmen, die permanent Fragen stellen und Antworten verweigern. Filme, die sich ins Gedächtnis einbohren wie schlechte Träume. Filme, die sich einen Scheißdreck um Chronologien, Konventionen und Korrektheiten scheren und damit ein Kino repräsentieren, das nach wie vor abenteuerlich, unkontrollierbar, einschüchternd und kryptisch ist. Und dem ich seit Jahrzehnten verfallen bin.

Ein Arthouse-Porn-Drama, ein Film über ein eskalierendes Familienfest und ein japanischer Horror-SciFi-Film zeigen, wie viel rohe Kraft und pure Vision 2023 noch im Kino stecken kann.
„White River“, „The Uncle“ und „New Religion“ verbindet das Wagnis, Filme zu schaffen, die Sehgewohnheiten hinterfragen und Erzählformen durcheinanderwirbeln.

So liefert das Spielfilm-Debüt „White River“ von Ma Xue in 90 Minuten eine unübersichtliche Menge ziellosen Sex gelangweilter und entfremdeter Protagonist*innen – mit halbgaren Ausflügen in die Poesie. Nix Neues, so scheint es. Doch wie die Regisseurin explizite, sexuelle Begegnungen als Ersatz für Dialoge einsetzt, erfrischt und befreit. Der Akt an sich verliert völlig seine filmische Romantik und Verklärung. Ich bin mir sicher, „White River“ wird noch für viel Verwirrung und Ablehnung sorgen – sollte er sich auf die großen Leinwände dieser Welt gelassen werden.

Bei „The Uncle“ könnten Yorgos Lanthimos und Michael Haneke im ehemaligen Jugoslawien gemeinsame Sache gemacht haben. So jedenfalls hört sich der Plot an und so werden auch die Stilmittel eingesetzt: Am Ende der 1980er-Jahre warten ein Paar und ihr Sohn sehnsüchtig auf das Eintreffen des geliebten Onkels zu Weihnachten. Als er allerdings endlich erscheint, zeigen sich immer wieder Risse in der konstruierten Festtagsumgebung. Konsequent unentschlossen wandeln die beide Regisseure Andrija Mardešić and David Kapac zwischen Home-Invasion-Thriller, schwarzer Komödie oder beißender Allegorie auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Mit viel Retro-Charme inszeniert wird permanent an der Personenkonstellation herumgeschraubt und Narrationen auf den Kopf gestellt. Versprochen: Von diesen beiden Debütanten werden wir noch so einiges hören!

Gleich vom ersten Moment an war ich ein großer Fan von „New Religion“, dem Erstlingswerk von Keishi Kondo: dieser hypnotische Industrial-Soundtrack von Abul Morgard, diese rötlich schimmernden, sich ständig verformenden, abstrakten Elemente der Titel-Sequenz und das Gefühl, hier könnte etwas Besonderes lauern. Mein erster Eindruck hat mich nicht getäuscht, obwohl ich, schnell auf ganzer Linie scheitern würde, sollte ich alle Rätsel dieses filmischen Rauschs aufklären wollen. Ein Film, der so vollständig, emotional komplex und künstlerisch mehrdeutig ist, ein Film, der unweigerlich die Meinungen spalten wird und mit dem Freunde des Horror-Genres sicherlich nur wenig anfangen können. Wer allerdings bei „elevated Horror“ der Cronenbergschen New-Flesh-Theorie und kunstvollen Bildwelten hellhörig wird, könnte hier einem finsteren Filmmonster gegenüberstehen, das noch lange die Synapsen bearbeiten wird.

Volker Beller für Randfilm

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Berlinale 2023 – Day twothreefour

Tag zwei und drei und vier oder wie es nach 15 weiteren Sichtungen in mir drin aussieht.

Die gute Nachricht zuerst: Ich habe erneut eine hervorragende Lilith Stangenberg gesehen. Selbst in einer hundsmiserablen Kinoadaption von Jeremias Gotthelfs „Die schwarze Spinne“ hebt sie sich bravourös vom ganzen Freilufttheaterverve des Films eindrucksvoll ab. Spätestens jetzt, eigentlich ja schon seit dem herausragenden „Wild“, bin ich ein echter Fanboy geworden und verfolge all ihre filmischen Taten.

Die bisherige Berlinale-Auswahl an Genre-Beiträgen ist zwar recht breit – u. a. mit Titeln wie „Nightsiren“ (CZ 2022), „The Unsettling“ (USA 2022), „The Creeping“ (USA 2022), „Black Kisses“ (COL, MEX 2022) oder „Dark Windows“ (USA 2022) und „The Harbinger“ (USA 2022) -, doch leider hat bisher keiner dieser Titel dem strengen Blick des Festivalmachers und Freund des visionären Kinos letztendlich standgehalten. Zu schematisch, zu wenig mutig, verstrickt in immer gleiche Narrative, uninspiriert gefilmt und nahezu identisch kommen diese Filme daher: Gut vs. Böse, Vergangenheit vs. Gegenwart, Jung gegen Alt, Glaube vs. Unglaube oder Wissenschaft.
Es sind immer wieder die gleichen Gräben, die sich auftun und die überwunden werden müssen.

Glücklicherweise warten da noch einige vielversprechende Titel a la „New Religion“ (JP), „The Uncle“ (CRO), „Heimsuchung“ (A) oder der neue Quarxx „Pandemonium“ (F 2023) auf mich.
Über die restlichen Sichtungen gibt es nicht viel zu berichten: Einige thematisieren mehr oder weniger die Zeit während der Pandemie und verknüpfen sie mehr oder weniger geschickt mit eigenen (Zukunfts)-Ängsten, Paranoia, Entfremdung oder Ablehnung.
Ein Film wie „Silver Haze“, ein wunderschön gefilmtes britisches Sozialrealismus Drama über die ureigenen Familiendämonen, verliert sich schlussendlich noch in seiner Heile-Welt-Familie-Mystifizierung.
White River“, ein echter „Arthouse-Porn“, der zu 90 Prozent nur aus unterschiedlichsten Kopulationen, Masturbationen und Ejakulationen besteht, verlässt seine Protagonist*innen zu schnell, um sich theoretisierend dem Phänomen von Cuck-Olds und Threesomes zu widmen.
Ob dieses Soft-Porn-Vehikel in Form eines „poetischen Blicks“ auf das neue China Spuren hinterlassen wird, vermag ich nicht zu beantworten.

Zum Schluss der heutigen kleinen Exkursion über den Marktplatz der Berlinale möchte ich noch lobend den schwedischen Coming-of-Age-UFO-SciFi „UFO Sweden“ erwähnen. Die Produktion hat Schwung, sie versteht zu erzählen und enthält unzählige Bonmots für Freunde von Spielberg, Lukas, TKKG und Akte X.

Volker Beller für Randfilm

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Berlinale 2023 – Day One

Der monströse Festival-Circus öffnet vom 16. bis 26. Februar wieder seine Manege im schnöden Berlin. Darum wirft Randfilm in den nächsten Tagen ungenierte Blicke auf das Genregeschehen, auf die mehr oder weniger radikalen Dramen und einige seltsame Film-Hybriden.

Tag 1 hatte es schon mehr als in sich, denn die Bandbreite erstreckte sich von einer Dokumentation über den Luftkrieg im WW2, einer Teenage-Angst-Dramödie, einem too edgy french movie, einem vietnamesischen Revenge-Thriller, einer argentinischen Reflexion über den Dreh eines verfluchten Films bis zu einem kontemplativen „Beau-Travail-Klon“ in Schwarz-Weiß.

„The Natural History of Destruction“ oder einfach „Luftkrieg“ versucht, von der gewaltigen Zerstörung der Städte und des Lebens durch Luftstreitkräfte und Bomberpiloten zu erzählen.
Der Dokumentarfilm vermeidet jede Form von Off-Kommentaren, fängt sich allerdings manchmal den Vorwurf von einfachem Revanchismus ein. „Luftkrieg“ ist eine europäische Gemeinschaftsproduktion mit besonderer Unterstützung des MDR.
Der Film arbeitet mit plumpen Propaganda-Aufnahmen, aber auch mit einzigartigen Archivmaterial, inkl. unzähliger Luftaufnahmen aus Zeppelinen, Bombern oder anderen Flugobjekten. Das alles wirkt gut gemeint, hat in seinen abstrakten Momenten eine ganz eigene Kraft, verliert sich aber in der Laufzeit in Wiederholungen.

„Melody-Go-Round“ (Taiwan 2022) balanciert nahezu geschickt zwischen Familiendrama, Campness, Teenage-Angst und magischem Realismus. Der Film wirkt zunächst ambitioniert, möchte „echte“ Personen zeigen und diese ernstnehmen. Aber er bekomt die wichtigen Themen Ablösung, Neuanfang, kapitalistische Warenwelt und Lebenskrise nur bedingt in den 102 Minuten unter. Letztendlich mündet er in eine Happy-Families-Idylle.

Da ist der französische Beitrag „Orso“ schon ein anderes Kaliber: Louison leidet unter heftigen bipolaren Attacken und verschlingt förmlich ihr Leben. Leider ist der gute Orso unsterblich in sie verliebt, obwohl er ahnt, dass das alles böse enden wird. Regisseur Bruno Mercier fährt hier förmlich alles auf, was zu einem sogenannten „edgy Drama gehört: düstere, karge Landschaften und Räume, ständig nackte Körper auf schmuddeligen Laken, Sex & Gewalt satt sowie spärliche Dialoge. Er kann aber nie verhindern, dass sich das alles sehr plakativ, simpel und wahnsinnig langweilig anfühlt. Die Chance wurde mehr als vertan, würde Randfilm sagen.

Einfach gestrickte, aber knackige Action verspricht hingegen der Trailer zu „578 Magnum“ (Vietnam 2022). Hier wird alles an (Action)-Klischees versammelt, was dem Krawallkino schon seit Jahrzehnten gut und teuer erscheint: heldenhafte Maskulinität, hohes (Erzähl)-Tempo, Martial-Arts in Vollendung, rotzige Bikerhorden, blutgierige Bösewichte, im Anzug verkleidete Sadisten und Girls, die beschützt werden wollen. Dazu kommt viel Regen, ständig wechselnde Schauplätze und eine an John Woo und Sam Peckinpah erinnernde Zeitlupen-Ästhetik.
Vom Film bleibt letztendlich aber nicht viel mehr als reine Stereotypen und Actionszenen vom Ramschtisch übrig. Nichts wirkt dramaturgisch gut inszeniert, Szenen werden einfach abgebrochen und die Montagen sind mehr als schluderig.

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https://youtu.be/8k0Hq8IEWbk

Trailer zu 578 Magnum

Auch als Zwischenkost enttäuscht der französische Film „Before We Collapse“ und macht auch nicht Lust auf mehr. Die Generation der Thirty Somethings mäandert zwischen Selbstfindung, nicht abgeschlossener Vergangenheit und schlichten Revolutionsideen durch 100 Minuten Film und hat wirklich nichts zu sagen.

„Luka“ wird als „visuell fesselndes, erzählerisch dichtes Drama kafkaesquen Ausmaßes“ (Screen Daily) angepriesen. Leider überzeugt auch dieser Ansatz eines surrealen und dystopischen Dramas über die Grenzen der Zivilisation nicht. Manieriert, statisch und theaterbühnenhaft bewegen sich wunderbare Darsteller wie Geradine Chaplin und Sam Louwyck durch ein schwarz-weißes Wüsten-Fort-Setting und rezitieren ihre Texte.
Mehr als eine leblose, blutleere und symbolische Reflexion über die Sinnlosigkeit von Konflikten, Autoritäten und der militärischen Absurdität bleibt leider nicht übrig.

Das Highlight des Tages war dann doch „Matadero“. Allerdings reichte es auch hier nur zu einer „Ist einen Blick wert“-Wertung. Mit der Story um einen verfluchten Film-Dreh, der in einer Rückblende erzählt wird, war der Boden für ein aufregendes Filmerlebnis bestens bestellt gewesen. Auch der historische Schauplatz Argentinien in den Jahren der Post-Peron-Diktatur schien perfekt gewählt. Das Debüt von Santiago Fillol schafft es in den ersten 30 Minuten wirklich zu glänzen. Hypnotische Bilder kombiniert mit einem wundervollen Soundtrack untermalen die mehr als rätselhafte Atmosphäre um die Geschichte des verschollenen Films. Die Erwartungen an eine radikale Auflösung, die das Unsehbare auf eine ganz spezielle Art und Weise sichtbar machen wird, sind groß. Aber der Film verliert immer mehr seine aufregenden Bilder, seine mysteriöse, schwer zu greifende Atmosphäre und wird zu einem einfach gestrickten Arthouse-Film, der sich einen Dreck um die Möglichkeiten seiner Ausgangssituation schert.
Am Ende sitzen wir ratlos vor der Leinwand und beschwören schnell mal die Geister von Claire Denis, David Lynch und Alejandro Jodorowsky.

Volker Beller für Randfilm

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The International

Zum Tode von Siegfried Rauch

Als Teenager fand ich an Siegfried Rauch, nachdem ich im Wald heimlich meine ersten Kippen gequarzt hatte, vor allem mal den Namen geil.

Das markante Gesicht mit den stahlblauen Augen und der akkuraten Frisur war mir aber selbst damals schon sehr lange vertraut. Denn Siegfried Rauch war Old Shatterhand, der Freund von Winnetou, in der alten TV-Serie von 1979. Eine verrückte Wahl, wenn man heute darüber nachdenkt. Ich war damals fünf, und Siegfried Rauch der Vater, den ich zwar auch immer hatte, aber nicht im Fernsehen. Aus dem Stand verkörperte er (und daran sollte sich in den neunundreissig späteren Jahren auch nichts mehr ändern) stets jede erdenkliche deutsche Tugend, gepaart mit der hemdsärmeligen Volksnähe, welche, zusammen mit seinem bayrischen Akzent einen Schauspieler von Weltformat ausmachen. Ähnlich wie Gerd Fröbe (Sachsen) und Günther Strack (Hessen), in deren Reihe er steht – als einer der wenigen Deutschen, die es in Hollywood geschafft – was sag‘ ich – die es überall geschafft hätten.

Er konnte sowohl mit Steve McQueen über die Piste brausen, als auch in Schundfilmen wie „Astaron – Brut des Schreckens“ reüssieren. Er war in „Patton“ ebenso wie in „Der Adler ist gelandet“. Mit Lee Marvin und Mark Hamill spielte er für Sam Fuller in „The Big Red One“.

Das auf der einen Seite. Auf der anderen war er sich aber auch nie zu Schade für deutsche Fernsehunterhaltung. Als Kapitän und Bergdoktor. „Irgendwie und Sowieso“ aber zum Beispiel war ein Highlight, in dem er einen biederen Speditionsbetreiber mit Herz verkörperte. Viel später erst entdeckte ich seine Beteiligung an den ganzen Edgar Wallace-Filmen. Unverwechselbar und doch keiner, der sich mit großen Rollen oder großen Schlagzeilen in den Vordergrund drängte.

Wahrscheinlich hatte er einfach mehr Lust, im Lande und bei seiner Familie zu bleiben und zu arbeiten, als das große (und trostlose) fremdsprachige Parkett zu beackern. Was ihn gleich doppelt sympathisch macht.

So blieb er bis heute der internationalste aller volkstümlichen Schauspieler, ein stubenhockender Kosmopolit, der granteln und dabei mit Winnetou befreundet sein konnte. Und jedem noch so prominenten Kollegen jederzeit den Schneid abkaufen konnte. Einer, der mit sich und seinem Leben zufrieden war. So kam es mir zumindest immer vor, wenn ich zufällig einmal reinzappte, wenn Rauch bei Markus Lanz über seine Freundschaft mit Steve McQueen erzählte, den er nun um 38 Jahre überlebt hat.

Quelle Foto: Derrick-database.com

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Der Unzersägbare

Der Tod eines bewunderten Künstlers kann einem schon sehr nahe gehen, auch wenn man den Menschen persönlich eigentlich gar nicht gekannt hat. Allein sich in dessen Werk wiederzufinden erzeugt eine – wenn auch einseitige – Verbundenheit, die sein Verschwinden dann zu einem schweren Verlust macht.

Bei Tobe Hooper geht mir das so. Wo immer sein Name draufstand oder auftauchte fühlte ich mich schon von kleinauf sofort verstanden und zuhause. Das Eintreffen der Todesmeldung nun erzeugt bei seinen Fans und bei mir als Fan einfach nur stumme, hilflose Traurigkeit.

Immerhin: Ein ganz großer Traum ging für mich 2014 in Erfüllung: Ich habe Tobe Hooper einmal kurz die Hand geschüttelt – bei den Filmfestspielen in Cannes, wo auf der Quinzaine de Realisateurs das Jubiläum der Uraufführung des Kettensägenmassakers gefeiert wurde. Und damit auch Tobe Hooper. Vierzig Jahre zuvor war der Film dort zum Teil ausgebuht worden – alle drei Vorführungen wurden damals von Bombendrohungen und Zwischenrufen begleitet, manche sahen in dem Schocker ein faschistoides Menschenbild gespiegelt.

Heute und hier in Cannes ist das anders. Heute ist „The Texas Chainsaw Massacre“ längst im Kanon der Filmklassiker. Seine filmhistorische Bedeutung ist beurkundet. Und natürlich wird Hooper immer in erster Linie auf diesen Film festgelegt bleiben, was eigentlich schade ist, wo er doch so viele tolle Filme gemacht hat.

Jurymitglied Nicolas Winding Refn hält eine Laudatio auf Hooper, und schwärmt natürlich ebenfalls davon, wie ihn gerade DIESER Film, „The Texas Chainsaw Massacre“, zum Filmemachen gebracht hat und zu dem Wunsch, andere mit seinen Filmen „zu penetrieren.“

Ein Schmuddelfilmer als Kulturliebling

Es ist ein Kreisschluss für Hooper, zurück an dem Ort, wo damals seine Karriere begann. Es ist aber unübersehbar auch ein Abgesang, kein Neubeginn. Der kleine grummelige Mann aus Texas, dessen berufliche Laufbahn von so vielen Triumphen und Fehlschlägen gekennzeichnet war, erntet den Ruhm eines langen Filmemacherlebens.

Schon in den Sechziger Jahren hatte er damit angefangen, drehte einen Kurzfilm, „The Heisters“, eine Slapstik-Komödie im Stil von Roger Corman. 1969 dann „Eggshells“, einen Experimentalfilm mit der Frische und dem Erfindungsgeist, den andere ihr ganzes Leben lang nicht aufbringen. Der Film floppt, selbst im Studentenkino. Jahrzehntelang bleibt dieses Frühwerk verschollen. Erst fünf Jahre später kommt der nächste Film, „The Texas Chainsaw Massacre“, und damit der Einstieg in die Achterbahn des Hollywood-Film Business.

Poltergeist“, bei dem man schon sehr genau hinsehen muss, um ihn als typischen Hooper zu erkennen, war als Kind mein absoluter Lieblingsfilm. „Funhouse“, „Death Trap“, „Salem‘s Lot“ und selbst „Spontaneous Combustion“ sind hervorragende, aber fundamental unterschätzte Filme.

„Texas Chainsaw Massacre 2“ sah man als VHS-Bootleg. Diese Selbstparodie ohne Lacher wird noch heute dafür gehasst, alles anders gemacht zu haben als in Teil 1. The Mangler“, eine heute fast völlig vergessene Stephen-King-Verfilmung, ist eine auf Zelluloid gebannte Ungeheuerlichkeit, die mich mit 20 in den Kinosessel bannte. Meines Wissens nach der letzte Hooper hierzulande mit einem regulären Kinostart.

Wo andere sich verbogen, blieb Tobe Hooper stets gerade – wetterfest und unzersägbar. Sein Thron als Horrorkönig war aus Titan gefertigt! Als Erfinder des Slasherfilms, Entdecker von Robert Englund, verstoßenes Stiefkind von Spielberg, Zigarrenraucher in einer ansonsten zunehmend keimfreien (Horror-)Welt konnte ihm eigentlich keiner was, schon gar nicht das Wasser geschweige denn den Aschenbecher reichen.

Am Ende, nach „Crocodile“ und „Mortuary“, nach „Masters of Horror“ und „Tool Box Murders“, kurz: nach all dem Schund, der nicht unbedingt eines so prominenten Regisseurs bedurft hätte, kam zuletzt noch „Djinn“, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten gedreht und zunächst lange unter Verschluss gehalten wurde, bevor er dann, wie seine letzten 20 Filme auch, direct-to-video ausgewertet wurde. Fehlte nur noch der Einzug ins Big-Brother-Haus.

Was wirklich in ihm vorging konnte erfahren, wer zu seinem autobiografisch angehauchten Roman griff: „Midnight Movie“, in dem er sich selbst literarisch zum rüpelhaften Schundfilmregisseur stilisierte, und der die (tatsächliche) Wiederentdeckung von „Eggshells“ zum Inhalt hat. Die Wut und der Witz seines berühmtesten Filmes – die „Leck-Mich“-Attitüde und die kritische Distanz zum Film- und Fanbetrieb – aber auch die kreative Lust und die Grenzenlosigkeit – in diesem chaotisch subversiven Machwerk sind sie noch immer spürbar.

Menschen sterben – Filme bleiben

2014 in Cannes, auf der Bühne, spricht von Hoopers Spätwerk aber keiner mehr. Außer Winding Refn, der in sich in seiner Vorrede vornimmt, nicht dieselben Fehlentscheidungen zu treffen wie sein Vorbild. Tobe „Leck mich“ Hooper nimmt‘s gelassen. Als er jetzt selbst auf die Bühne kommt, herrscht fast zehn Minuten lang frenetischer Applaus. Hooper saugt diesen förmlich auf. Immer, wenn das Klatschen nachlässt, hebt er die Hände zur Champion-Geste und entflammt den Jubel von Neuem. Das Publikum umarmt ihn. Immer und immer wieder reißt Hooper die Arme hoch, und das Publikum folgt: Da Capo für den Meissterregisseur, auf sein Kommando brandet der Applaus hoch, ein klasse Beispiel dafür, wie sehr er auch jetzt, auf der Bühne, sein Publikum zu manipulieren vermag.

Nach dem Film rauschen die Massen zum Ausgang. Wir von Randfilm erwischen eine falsche Abzweigung, und da steht er plötzlich höchstselbst, mitten im Foyer des Filmfest-Kinos: der Erfinder von Leatherface und Industrial-Musik.

Ich frage nach einem Foto, er nickt. Pflichtbewusst und höflich lässt er sich mit mir ablichten, von meiner Frau, die so nervös ist, dass sie mehrfach abdrücken muss, ohne zu verwackeln.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll, darum sage ich einfach, was mich in diesem Moment, wo alle nur TCM, TCM und eine Rückkehr zur alten Form von ihm wollen, spontan durch den Kopf geht: Nämlich, dass ich alle seine Filme mag. „I like ALL of your films.“ Fast schon ein bisschen entschuldigend, als würde sein Werk jenseits von TCM überhaupt einer Rechtfertigung bedürfen, und dann auch noch ausgerechnet von mir.

Er aber weiß schon Bescheid, tätschelt meine Schulter und knurrt: „Alright. Thank you.“ Mit der bitteren Süßigkeit der Dr. Pepper-Cola, die er so gerne trinkt.

Drei Jahre sind das jetzt her, und ich kann gar nicht glauben, dass er nie wieder einen Film drehen wird. Auch keinen schlechten. Eine Rückkehr zur alten Form war ihm, glaube ich, ohnehin nie so wichtig wie seinen Fans. Er war ein Filmemacher mit Leib und Seele. Was er geleistet hat, wird bleiben.

Dafür möchten wir Dir danken, Tobe. Wir – die wir Deine Filme lieben.
Und zwar jeden einzelnen.

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Tina Tonagel

Die bildende Künstlerin Tina Tonagel lebt in Köln. Sie beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit Licht, Klang und Elektronik. Sie entwickelt kinetische Maschinen, Klang-Installationen und verschiedene Formen der Projektion. In den letzten Jahren liegt ihr Schwerpunkt auf der Visualisierung von Musik. Sie entwickelte unter anderem elektronisch gesteuerte mechanische Klang-Apparate, die analog zu den entstehenden Klängen suggestive und poetische Projektionen erzeugen.

Seit 2007 überträgt sie Elemente dieser Installationen in audiovisuelle Performances, bei denen sie selbstkonstruierte elektronisch verstärkte Musikinstrumente auf den Leuchtflächen von Overheadprojektoren platziert.

Die Ausstellung „Zeichen und Wunder“ entstand während ihres Studiums an der Kunsthochschule für Medien Köln.

 

Quelle Bild: privat

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live audiokommentar, stiglegger, naumann, randfilmfest 2016

Live-Audiokommentar
Sa./26.11./20:00 Uhr

mit Prof. Dr. Marcus Stiglegger und Dr. Kai Naumann. Zwei Stühle – ein Film: „The Witch That Came From the Sea“ – als Deutschlandpremiere! Sei dabei, wenn Prof. Dr. Marcus Stiglegger und Dr. Kai Naumann einen ihrer legendären Audio-Kommentare für eine Blu-Ray-Veröffentlichung aufzeichnen – Live vor Publikum! Mit Witz, Charme und Wissen.

Eine einmalige Chance!

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randfilmfest 2016 totenwald bild: xrobakx

Totenwald
Sa./26.11./23:30 Uhr

Totenwald variieren zwischen Batcave, Goth und Punk und feiern eine körperliche und wilde Show, die dem Randfilmfest eine Punkclub Atmosphäre geben wird, die seinesgleichen sucht! Die selbsterklärten Immigrant Punks brauchen keine Normen und verzichten auf das klassische Gitarre, Bass, Schlagzeug – Punkprinzip und bedienen sich an Drumcomputer und Saxophon. Wir sind sehr gespannt auf die Totenwald Show und freuen uns auf pogo, moshpits und blutende Ohren im Interim!

https://thisistotenwald.bandcamp.com

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https://www.youtube.com/watch?v=2NZonobkcWA

Quelle Beitragsbild: xrobakx

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Nekromantik 2 – 25th Anniversary-Gala
So./27.11./19:00 Uhr (Einlass 18:00 Uhr) im BALLSAAL HOTEL REISS

Live-Filmkonzert mit Monika M., Jens Friebe, Andre Abshagen und Laura Landergott („Ja, Panik“)

Der Skandalfilm aus dem Jahr 1991 feiert in diesem Jahr sein 25. Jubiläum in Kassel!

Zusammen mit ihrer prominent besetzten Band bringt Hauptdarstellerin Monika M. die Filmmusik simultan zur Filmvorführung live auf die Bühne! Eine einmalige Sache – exklusiv auf dem Randfilmfest.

Einstmals von der Zensur bedroht, steht der lyrische Totengesang heute längst im Kanon deutscher Kinomeisterwerke neben den Filmen von Murnau und Fassbinder. Und  doch hat er nichts von seiner schockierenden Schlagkraft verloren. Dabei kommt er fast ohne Dialoge aus. Der raffiniert instrumentierte und nur scheinbar minimalistische Soundtrack schafft eine traumwandlerische Seelenlandschaft zwischen Schrecken und Faszination. „Nekromantik 2“ setzt voll auf die sinnliche Wucht seiner Bilder und die Leinwandpräsenz von Hauptdarstellerin Monika M., die auch maßgeblich am Soundtrack beteiligt war.

Als gebürtige Kasselanerin ist das Filmkonzert Jubiläum für sie auch ein Wiedersehen mit der Heimat.

Als Stargast wird Jörg Buttgereit anwesend sein. Zusammen mit dem Filmemacher Klaus Stern und dem Leiter des Sepulkralkundemuseums Kassel wird es vor dem Film eine kurze Einführung in Form eines Podiumsgesprächs über die bewegte Geschichte des Films, sowie über die letzten Tabus wie Sexualität und Sterben geben.

 

 

 

 

Quelle Bild: Eric Lahmann

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Meine Nächte sind schöner als Deine Tage, Fr 1989

mit Sophie Marceau, Jaques Dutronc, Valerie Lagrange, Laure Killing
Regie: Andrzej Zulawski

Die Entdeckung des Monats: eine amour fou wie es selten eine gab. Von Andrzej Zulawski, dessen Film „Possession“ auf dem letzten Randfest lief, dessen übriges Werk aber kinovorführtechnisch in Deutschland weitgehend unerschlossen ist. Dieser hier hatte zumindest einen ordentlichen Kinostart. Und jetzt, 2016: eine lausig synchronisierte DVD ohne OmU.

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Das Wunder von Macon, GB, FR, DE, NL 1993

mit Julia Ormond, Ralph Fiennes, Philip Stone, Jonathan Lacey
Regie: Peter Greenaway

Kurz nachdem er mit „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ und „Prospero`s Bücher“ in den Neunzigern endgültig zum Feuilltonliebling aufgestiegen war, rückte Greenaway seinem Publikum mit einem Film zu Leibe, der selbst hartgesottenen Kulturfreunden Bauchschmerzen bescherte und das unversöhnliche Gefühl, daß der kunstbeflissene Provokateur mit der Liebe zu schwelgerischen Tableaus und dem Hang zu moralischem Defätismus diesmal entschieden zu weit gegangen war. (mehr …)

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