Berlinale 2023, die Erlösung

Da war sie plötzlich: die Erlösung. In Form von drei wilden, ungezähmten, ungehemmten Filmen, die permanent Fragen stellen und Antworten verweigern. Filme, die sich ins Gedächtnis einbohren wie schlechte Träume. Filme, die sich einen Scheißdreck um Chronologien, Konventionen und Korrektheiten scheren und damit ein Kino repräsentieren, das nach wie vor abenteuerlich, unkontrollierbar, einschüchternd und kryptisch ist. Und dem ich seit Jahrzehnten verfallen bin.

Ein Arthouse-Porn-Drama, ein Film über ein eskalierendes Familienfest und ein japanischer Horror-SciFi-Film zeigen, wie viel rohe Kraft und pure Vision 2023 noch im Kino stecken kann.
„White River“, „The Uncle“ und „New Religion“ verbindet das Wagnis, Filme zu schaffen, die Sehgewohnheiten hinterfragen und Erzählformen durcheinanderwirbeln.

So liefert das Spielfilm-Debüt „White River“ von Ma Xue in 90 Minuten eine unübersichtliche Menge ziellosen Sex gelangweilter und entfremdeter Protagonist*innen – mit halbgaren Ausflügen in die Poesie. Nix Neues, so scheint es. Doch wie die Regisseurin explizite, sexuelle Begegnungen als Ersatz für Dialoge einsetzt, erfrischt und befreit. Der Akt an sich verliert völlig seine filmische Romantik und Verklärung. Ich bin mir sicher, „White River“ wird noch für viel Verwirrung und Ablehnung sorgen – sollte er sich auf die großen Leinwände dieser Welt gelassen werden.

Bei „The Uncle“ könnten Yorgos Lanthimos und Michael Haneke im ehemaligen Jugoslawien gemeinsame Sache gemacht haben. So jedenfalls hört sich der Plot an und so werden auch die Stilmittel eingesetzt: Am Ende der 1980er-Jahre warten ein Paar und ihr Sohn sehnsüchtig auf das Eintreffen des geliebten Onkels zu Weihnachten. Als er allerdings endlich erscheint, zeigen sich immer wieder Risse in der konstruierten Festtagsumgebung. Konsequent unentschlossen wandeln die beide Regisseure Andrija Mardešić and David Kapac zwischen Home-Invasion-Thriller, schwarzer Komödie oder beißender Allegorie auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Mit viel Retro-Charme inszeniert wird permanent an der Personenkonstellation herumgeschraubt und Narrationen auf den Kopf gestellt. Versprochen: Von diesen beiden Debütanten werden wir noch so einiges hören!

Gleich vom ersten Moment an war ich ein großer Fan von „New Religion“, dem Erstlingswerk von Keishi Kondo: dieser hypnotische Industrial-Soundtrack von Abul Morgard, diese rötlich schimmernden, sich ständig verformenden, abstrakten Elemente der Titel-Sequenz und das Gefühl, hier könnte etwas Besonderes lauern. Mein erster Eindruck hat mich nicht getäuscht, obwohl ich, schnell auf ganzer Linie scheitern würde, sollte ich alle Rätsel dieses filmischen Rauschs aufklären wollen. Ein Film, der so vollständig, emotional komplex und künstlerisch mehrdeutig ist, ein Film, der unweigerlich die Meinungen spalten wird und mit dem Freunde des Horror-Genres sicherlich nur wenig anfangen können. Wer allerdings bei „elevated Horror“ der Cronenbergschen New-Flesh-Theorie und kunstvollen Bildwelten hellhörig wird, könnte hier einem finsteren Filmmonster gegenüberstehen, das noch lange die Synapsen bearbeiten wird.

Volker Beller für Randfilm

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Berlinale 2023 – Day twothreefour

Tag zwei und drei und vier oder wie es nach 15 weiteren Sichtungen in mir drin aussieht.

Die gute Nachricht zuerst: Ich habe erneut eine hervorragende Lilith Stangenberg gesehen. Selbst in einer hundsmiserablen Kinoadaption von Jeremias Gotthelfs „Die schwarze Spinne“ hebt sie sich bravourös vom ganzen Freilufttheaterverve des Films eindrucksvoll ab. Spätestens jetzt, eigentlich ja schon seit dem herausragenden „Wild“, bin ich ein echter Fanboy geworden und verfolge all ihre filmischen Taten.

Die bisherige Berlinale-Auswahl an Genre-Beiträgen ist zwar recht breit – u. a. mit Titeln wie „Nightsiren“ (CZ 2022), „The Unsettling“ (USA 2022), „The Creeping“ (USA 2022), „Black Kisses“ (COL, MEX 2022) oder „Dark Windows“ (USA 2022) und „The Harbinger“ (USA 2022) -, doch leider hat bisher keiner dieser Titel dem strengen Blick des Festivalmachers und Freund des visionären Kinos letztendlich standgehalten. Zu schematisch, zu wenig mutig, verstrickt in immer gleiche Narrative, uninspiriert gefilmt und nahezu identisch kommen diese Filme daher: Gut vs. Böse, Vergangenheit vs. Gegenwart, Jung gegen Alt, Glaube vs. Unglaube oder Wissenschaft.
Es sind immer wieder die gleichen Gräben, die sich auftun und die überwunden werden müssen.

Glücklicherweise warten da noch einige vielversprechende Titel a la „New Religion“ (JP), „The Uncle“ (CRO), „Heimsuchung“ (A) oder der neue Quarxx „Pandemonium“ (F 2023) auf mich.
Über die restlichen Sichtungen gibt es nicht viel zu berichten: Einige thematisieren mehr oder weniger die Zeit während der Pandemie und verknüpfen sie mehr oder weniger geschickt mit eigenen (Zukunfts)-Ängsten, Paranoia, Entfremdung oder Ablehnung.
Ein Film wie „Silver Haze“, ein wunderschön gefilmtes britisches Sozialrealismus Drama über die ureigenen Familiendämonen, verliert sich schlussendlich noch in seiner Heile-Welt-Familie-Mystifizierung.
White River“, ein echter „Arthouse-Porn“, der zu 90 Prozent nur aus unterschiedlichsten Kopulationen, Masturbationen und Ejakulationen besteht, verlässt seine Protagonist*innen zu schnell, um sich theoretisierend dem Phänomen von Cuck-Olds und Threesomes zu widmen.
Ob dieses Soft-Porn-Vehikel in Form eines „poetischen Blicks“ auf das neue China Spuren hinterlassen wird, vermag ich nicht zu beantworten.

Zum Schluss der heutigen kleinen Exkursion über den Marktplatz der Berlinale möchte ich noch lobend den schwedischen Coming-of-Age-UFO-SciFi „UFO Sweden“ erwähnen. Die Produktion hat Schwung, sie versteht zu erzählen und enthält unzählige Bonmots für Freunde von Spielberg, Lukas, TKKG und Akte X.

Volker Beller für Randfilm

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Berlinale 2023 – Day One

Der monströse Festival-Circus öffnet vom 16. bis 26. Februar wieder seine Manege im schnöden Berlin. Darum wirft Randfilm in den nächsten Tagen ungenierte Blicke auf das Genregeschehen, auf die mehr oder weniger radikalen Dramen und einige seltsame Film-Hybriden.

Tag 1 hatte es schon mehr als in sich, denn die Bandbreite erstreckte sich von einer Dokumentation über den Luftkrieg im WW2, einer Teenage-Angst-Dramödie, einem too edgy french movie, einem vietnamesischen Revenge-Thriller, einer argentinischen Reflexion über den Dreh eines verfluchten Films bis zu einem kontemplativen „Beau-Travail-Klon“ in Schwarz-Weiß.

„The Natural History of Destruction“ oder einfach „Luftkrieg“ versucht, von der gewaltigen Zerstörung der Städte und des Lebens durch Luftstreitkräfte und Bomberpiloten zu erzählen.
Der Dokumentarfilm vermeidet jede Form von Off-Kommentaren, fängt sich allerdings manchmal den Vorwurf von einfachem Revanchismus ein. „Luftkrieg“ ist eine europäische Gemeinschaftsproduktion mit besonderer Unterstützung des MDR.
Der Film arbeitet mit plumpen Propaganda-Aufnahmen, aber auch mit einzigartigen Archivmaterial, inkl. unzähliger Luftaufnahmen aus Zeppelinen, Bombern oder anderen Flugobjekten. Das alles wirkt gut gemeint, hat in seinen abstrakten Momenten eine ganz eigene Kraft, verliert sich aber in der Laufzeit in Wiederholungen.

„Melody-Go-Round“ (Taiwan 2022) balanciert nahezu geschickt zwischen Familiendrama, Campness, Teenage-Angst und magischem Realismus. Der Film wirkt zunächst ambitioniert, möchte „echte“ Personen zeigen und diese ernstnehmen. Aber er bekomt die wichtigen Themen Ablösung, Neuanfang, kapitalistische Warenwelt und Lebenskrise nur bedingt in den 102 Minuten unter. Letztendlich mündet er in eine Happy-Families-Idylle.

Da ist der französische Beitrag „Orso“ schon ein anderes Kaliber: Louison leidet unter heftigen bipolaren Attacken und verschlingt förmlich ihr Leben. Leider ist der gute Orso unsterblich in sie verliebt, obwohl er ahnt, dass das alles böse enden wird. Regisseur Bruno Mercier fährt hier förmlich alles auf, was zu einem sogenannten „edgy Drama gehört: düstere, karge Landschaften und Räume, ständig nackte Körper auf schmuddeligen Laken, Sex & Gewalt satt sowie spärliche Dialoge. Er kann aber nie verhindern, dass sich das alles sehr plakativ, simpel und wahnsinnig langweilig anfühlt. Die Chance wurde mehr als vertan, würde Randfilm sagen.

Einfach gestrickte, aber knackige Action verspricht hingegen der Trailer zu „578 Magnum“ (Vietnam 2022). Hier wird alles an (Action)-Klischees versammelt, was dem Krawallkino schon seit Jahrzehnten gut und teuer erscheint: heldenhafte Maskulinität, hohes (Erzähl)-Tempo, Martial-Arts in Vollendung, rotzige Bikerhorden, blutgierige Bösewichte, im Anzug verkleidete Sadisten und Girls, die beschützt werden wollen. Dazu kommt viel Regen, ständig wechselnde Schauplätze und eine an John Woo und Sam Peckinpah erinnernde Zeitlupen-Ästhetik.
Vom Film bleibt letztendlich aber nicht viel mehr als reine Stereotypen und Actionszenen vom Ramschtisch übrig. Nichts wirkt dramaturgisch gut inszeniert, Szenen werden einfach abgebrochen und die Montagen sind mehr als schluderig.

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https://youtu.be/8k0Hq8IEWbk

Trailer zu 578 Magnum

Auch als Zwischenkost enttäuscht der französische Film „Before We Collapse“ und macht auch nicht Lust auf mehr. Die Generation der Thirty Somethings mäandert zwischen Selbstfindung, nicht abgeschlossener Vergangenheit und schlichten Revolutionsideen durch 100 Minuten Film und hat wirklich nichts zu sagen.

„Luka“ wird als „visuell fesselndes, erzählerisch dichtes Drama kafkaesquen Ausmaßes“ (Screen Daily) angepriesen. Leider überzeugt auch dieser Ansatz eines surrealen und dystopischen Dramas über die Grenzen der Zivilisation nicht. Manieriert, statisch und theaterbühnenhaft bewegen sich wunderbare Darsteller wie Geradine Chaplin und Sam Louwyck durch ein schwarz-weißes Wüsten-Fort-Setting und rezitieren ihre Texte.
Mehr als eine leblose, blutleere und symbolische Reflexion über die Sinnlosigkeit von Konflikten, Autoritäten und der militärischen Absurdität bleibt leider nicht übrig.

Das Highlight des Tages war dann doch „Matadero“. Allerdings reichte es auch hier nur zu einer „Ist einen Blick wert“-Wertung. Mit der Story um einen verfluchten Film-Dreh, der in einer Rückblende erzählt wird, war der Boden für ein aufregendes Filmerlebnis bestens bestellt gewesen. Auch der historische Schauplatz Argentinien in den Jahren der Post-Peron-Diktatur schien perfekt gewählt. Das Debüt von Santiago Fillol schafft es in den ersten 30 Minuten wirklich zu glänzen. Hypnotische Bilder kombiniert mit einem wundervollen Soundtrack untermalen die mehr als rätselhafte Atmosphäre um die Geschichte des verschollenen Films. Die Erwartungen an eine radikale Auflösung, die das Unsehbare auf eine ganz spezielle Art und Weise sichtbar machen wird, sind groß. Aber der Film verliert immer mehr seine aufregenden Bilder, seine mysteriöse, schwer zu greifende Atmosphäre und wird zu einem einfach gestrickten Arthouse-Film, der sich einen Dreck um die Möglichkeiten seiner Ausgangssituation schert.
Am Ende sitzen wir ratlos vor der Leinwand und beschwören schnell mal die Geister von Claire Denis, David Lynch und Alejandro Jodorowsky.

Volker Beller für Randfilm

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The International

Zum Tode von Siegfried Rauch

Als Teenager fand ich an Siegfried Rauch, nachdem ich im Wald heimlich meine ersten Kippen gequarzt hatte, vor allem mal den Namen geil.

Das markante Gesicht mit den stahlblauen Augen und der akkuraten Frisur war mir aber selbst damals schon sehr lange vertraut. Denn Siegfried Rauch war Old Shatterhand, der Freund von Winnetou, in der alten TV-Serie von 1979. Eine verrückte Wahl, wenn man heute darüber nachdenkt. Ich war damals fünf, und Siegfried Rauch der Vater, den ich zwar auch immer hatte, aber nicht im Fernsehen. Aus dem Stand verkörperte er (und daran sollte sich in den neunundreissig späteren Jahren auch nichts mehr ändern) stets jede erdenkliche deutsche Tugend, gepaart mit der hemdsärmeligen Volksnähe, welche, zusammen mit seinem bayrischen Akzent einen Schauspieler von Weltformat ausmachen. Ähnlich wie Gerd Fröbe (Sachsen) und Günther Strack (Hessen), in deren Reihe er steht – als einer der wenigen Deutschen, die es in Hollywood geschafft – was sag‘ ich – die es überall geschafft hätten.

Er konnte sowohl mit Steve McQueen über die Piste brausen, als auch in Schundfilmen wie „Astaron – Brut des Schreckens“ reüssieren. Er war in „Patton“ ebenso wie in „Der Adler ist gelandet“. Mit Lee Marvin und Mark Hamill spielte er für Sam Fuller in „The Big Red One“.

Das auf der einen Seite. Auf der anderen war er sich aber auch nie zu Schade für deutsche Fernsehunterhaltung. Als Kapitän und Bergdoktor. „Irgendwie und Sowieso“ aber zum Beispiel war ein Highlight, in dem er einen biederen Speditionsbetreiber mit Herz verkörperte. Viel später erst entdeckte ich seine Beteiligung an den ganzen Edgar Wallace-Filmen. Unverwechselbar und doch keiner, der sich mit großen Rollen oder großen Schlagzeilen in den Vordergrund drängte.

Wahrscheinlich hatte er einfach mehr Lust, im Lande und bei seiner Familie zu bleiben und zu arbeiten, als das große (und trostlose) fremdsprachige Parkett zu beackern. Was ihn gleich doppelt sympathisch macht.

So blieb er bis heute der internationalste aller volkstümlichen Schauspieler, ein stubenhockender Kosmopolit, der granteln und dabei mit Winnetou befreundet sein konnte. Und jedem noch so prominenten Kollegen jederzeit den Schneid abkaufen konnte. Einer, der mit sich und seinem Leben zufrieden war. So kam es mir zumindest immer vor, wenn ich zufällig einmal reinzappte, wenn Rauch bei Markus Lanz über seine Freundschaft mit Steve McQueen erzählte, den er nun um 38 Jahre überlebt hat.

Quelle Foto: Derrick-database.com

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Der Unzersägbare

Der Tod eines bewunderten Künstlers kann einem schon sehr nahe gehen, auch wenn man den Menschen persönlich eigentlich gar nicht gekannt hat. Allein sich in dessen Werk wiederzufinden erzeugt eine – wenn auch einseitige – Verbundenheit, die sein Verschwinden dann zu einem schweren Verlust macht.

Bei Tobe Hooper geht mir das so. Wo immer sein Name draufstand oder auftauchte fühlte ich mich schon von kleinauf sofort verstanden und zuhause. Das Eintreffen der Todesmeldung nun erzeugt bei seinen Fans und bei mir als Fan einfach nur stumme, hilflose Traurigkeit.

Immerhin: Ein ganz großer Traum ging für mich 2014 in Erfüllung: Ich habe Tobe Hooper einmal kurz die Hand geschüttelt – bei den Filmfestspielen in Cannes, wo auf der Quinzaine de Realisateurs das Jubiläum der Uraufführung des Kettensägenmassakers gefeiert wurde. Und damit auch Tobe Hooper. Vierzig Jahre zuvor war der Film dort zum Teil ausgebuht worden – alle drei Vorführungen wurden damals von Bombendrohungen und Zwischenrufen begleitet, manche sahen in dem Schocker ein faschistoides Menschenbild gespiegelt.

Heute und hier in Cannes ist das anders. Heute ist „The Texas Chainsaw Massacre“ längst im Kanon der Filmklassiker. Seine filmhistorische Bedeutung ist beurkundet. Und natürlich wird Hooper immer in erster Linie auf diesen Film festgelegt bleiben, was eigentlich schade ist, wo er doch so viele tolle Filme gemacht hat.

Jurymitglied Nicolas Winding Refn hält eine Laudatio auf Hooper, und schwärmt natürlich ebenfalls davon, wie ihn gerade DIESER Film, „The Texas Chainsaw Massacre“, zum Filmemachen gebracht hat und zu dem Wunsch, andere mit seinen Filmen „zu penetrieren.“

Ein Schmuddelfilmer als Kulturliebling

Es ist ein Kreisschluss für Hooper, zurück an dem Ort, wo damals seine Karriere begann. Es ist aber unübersehbar auch ein Abgesang, kein Neubeginn. Der kleine grummelige Mann aus Texas, dessen berufliche Laufbahn von so vielen Triumphen und Fehlschlägen gekennzeichnet war, erntet den Ruhm eines langen Filmemacherlebens.

Schon in den Sechziger Jahren hatte er damit angefangen, drehte einen Kurzfilm, „The Heisters“, eine Slapstik-Komödie im Stil von Roger Corman. 1969 dann „Eggshells“, einen Experimentalfilm mit der Frische und dem Erfindungsgeist, den andere ihr ganzes Leben lang nicht aufbringen. Der Film floppt, selbst im Studentenkino. Jahrzehntelang bleibt dieses Frühwerk verschollen. Erst fünf Jahre später kommt der nächste Film, „The Texas Chainsaw Massacre“, und damit der Einstieg in die Achterbahn des Hollywood-Film Business.

Poltergeist“, bei dem man schon sehr genau hinsehen muss, um ihn als typischen Hooper zu erkennen, war als Kind mein absoluter Lieblingsfilm. „Funhouse“, „Death Trap“, „Salem‘s Lot“ und selbst „Spontaneous Combustion“ sind hervorragende, aber fundamental unterschätzte Filme.

„Texas Chainsaw Massacre 2“ sah man als VHS-Bootleg. Diese Selbstparodie ohne Lacher wird noch heute dafür gehasst, alles anders gemacht zu haben als in Teil 1. The Mangler“, eine heute fast völlig vergessene Stephen-King-Verfilmung, ist eine auf Zelluloid gebannte Ungeheuerlichkeit, die mich mit 20 in den Kinosessel bannte. Meines Wissens nach der letzte Hooper hierzulande mit einem regulären Kinostart.

Wo andere sich verbogen, blieb Tobe Hooper stets gerade – wetterfest und unzersägbar. Sein Thron als Horrorkönig war aus Titan gefertigt! Als Erfinder des Slasherfilms, Entdecker von Robert Englund, verstoßenes Stiefkind von Spielberg, Zigarrenraucher in einer ansonsten zunehmend keimfreien (Horror-)Welt konnte ihm eigentlich keiner was, schon gar nicht das Wasser geschweige denn den Aschenbecher reichen.

Am Ende, nach „Crocodile“ und „Mortuary“, nach „Masters of Horror“ und „Tool Box Murders“, kurz: nach all dem Schund, der nicht unbedingt eines so prominenten Regisseurs bedurft hätte, kam zuletzt noch „Djinn“, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten gedreht und zunächst lange unter Verschluss gehalten wurde, bevor er dann, wie seine letzten 20 Filme auch, direct-to-video ausgewertet wurde. Fehlte nur noch der Einzug ins Big-Brother-Haus.

Was wirklich in ihm vorging konnte erfahren, wer zu seinem autobiografisch angehauchten Roman griff: „Midnight Movie“, in dem er sich selbst literarisch zum rüpelhaften Schundfilmregisseur stilisierte, und der die (tatsächliche) Wiederentdeckung von „Eggshells“ zum Inhalt hat. Die Wut und der Witz seines berühmtesten Filmes – die „Leck-Mich“-Attitüde und die kritische Distanz zum Film- und Fanbetrieb – aber auch die kreative Lust und die Grenzenlosigkeit – in diesem chaotisch subversiven Machwerk sind sie noch immer spürbar.

Menschen sterben – Filme bleiben

2014 in Cannes, auf der Bühne, spricht von Hoopers Spätwerk aber keiner mehr. Außer Winding Refn, der in sich in seiner Vorrede vornimmt, nicht dieselben Fehlentscheidungen zu treffen wie sein Vorbild. Tobe „Leck mich“ Hooper nimmt‘s gelassen. Als er jetzt selbst auf die Bühne kommt, herrscht fast zehn Minuten lang frenetischer Applaus. Hooper saugt diesen förmlich auf. Immer, wenn das Klatschen nachlässt, hebt er die Hände zur Champion-Geste und entflammt den Jubel von Neuem. Das Publikum umarmt ihn. Immer und immer wieder reißt Hooper die Arme hoch, und das Publikum folgt: Da Capo für den Meissterregisseur, auf sein Kommando brandet der Applaus hoch, ein klasse Beispiel dafür, wie sehr er auch jetzt, auf der Bühne, sein Publikum zu manipulieren vermag.

Nach dem Film rauschen die Massen zum Ausgang. Wir von Randfilm erwischen eine falsche Abzweigung, und da steht er plötzlich höchstselbst, mitten im Foyer des Filmfest-Kinos: der Erfinder von Leatherface und Industrial-Musik.

Ich frage nach einem Foto, er nickt. Pflichtbewusst und höflich lässt er sich mit mir ablichten, von meiner Frau, die so nervös ist, dass sie mehrfach abdrücken muss, ohne zu verwackeln.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll, darum sage ich einfach, was mich in diesem Moment, wo alle nur TCM, TCM und eine Rückkehr zur alten Form von ihm wollen, spontan durch den Kopf geht: Nämlich, dass ich alle seine Filme mag. „I like ALL of your films.“ Fast schon ein bisschen entschuldigend, als würde sein Werk jenseits von TCM überhaupt einer Rechtfertigung bedürfen, und dann auch noch ausgerechnet von mir.

Er aber weiß schon Bescheid, tätschelt meine Schulter und knurrt: „Alright. Thank you.“ Mit der bitteren Süßigkeit der Dr. Pepper-Cola, die er so gerne trinkt.

Drei Jahre sind das jetzt her, und ich kann gar nicht glauben, dass er nie wieder einen Film drehen wird. Auch keinen schlechten. Eine Rückkehr zur alten Form war ihm, glaube ich, ohnehin nie so wichtig wie seinen Fans. Er war ein Filmemacher mit Leib und Seele. Was er geleistet hat, wird bleiben.

Dafür möchten wir Dir danken, Tobe. Wir – die wir Deine Filme lieben.
Und zwar jeden einzelnen.

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Bye Bye Bambino

Carlo Pedersoli ist tot, Bud Spencer wird ewig leben: in unseren Herzen und auf den Screens dieser Welt!
Wir lesen jetzt viel vom Olympiateilnehmer, vom Fluglinienbesitzer, vom Juristen, Erfinder und Buchautor. Als Haudraufdarsteller ist er in aller Munde. Der, der nicht viel sagt, prügelt, frisst, rülpst und furzt, aber bitte schön mit Jura Titel und olympischen Gedanken. Ich habe ihn als Kind kennengelernt, den großen Mann mit der Dampfhammerkopfnuss, ihn nachgeahmt, für seine anarchische Lässigkeit bewundert.

Ihm verdanke ich mein Interesse am italienischen Film und speziell am Spaghettiwestern. Früh sozialisierte mich der Dicke und sein kongenialer Partner Terence Hill weg vom amerikanischen Einheitsbrei am Sonntagnachmittag – Danke schön! Die ersten ernsten (!) Rollen in den Colizzifilmen, bei Argento und Stegani hätten einen anderen Karriereweg zeichnen können. Doch Enzo Barboni und Rainer Brandt hatten anderes mit ihm vor. Sie formten aus dem Koloss von Neapel den Dicken, Bambi, der Gemütliche, der Mittelpunkt des neu geschaffen Genres der Hau-Drauf-Komödie.
Ich nehme es niemanden übel und man weiß auch nicht, was ohne die unzählbaren Komödien und die Sprachverstümmelung eines Berliner Synchrostudios heute noch übrig geblieben wäre.
Ich aber werde Bud Spencer als den Unverrückbaren, als das Mahnmal der Gelassenheit und als Gegenentwurf zur doch so hektischen Zeit in würdevoller Erinnerung behalten.

Danke Bud, R.I.P. Carlo!

Beitragsbild: http://www.budspencerofficial.com/

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Das Geheimnis der gelben Särge

Cannes Film Festival 2016 – eine Rückschau im Blindflug

Manchmal wird das Leben, wenn man die Dinge bloß flüchtig, so halb links aus dem Augenwinkel heraus betrachtet, plötzlich unerwartet interessant.

So also neulich, als ich, auf dem Weg zur Arbeit, wie immer zu spät, in Richtung meines Autos hetzte, die Aufmerksamkeit voll auf seinen möglichen Aufenthaltsort gerichtet, (es war gestern spät und die Parkplatzsituation in dieser Gegend katastrophal – ich hatte schlicht vergessen, wo es stand), auf dem Weg durch den Hausflur etwas wahrgenommen haben mußte, allerdings nur unterschwellig, wie die Figur aus einem Dario-Argento-Giallo, ein wichtiger Clue, der alles entscheidende Hinweis, dessen wahre Bedeutung mir allerdings nicht sofort einleuchten sollte.

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Hauptsache Theke – Ostzonenvideothekenwahnsinn

Das ländliche Thüringen, endliche Weiten. Ich war 1993 vierzehn Jahre alt. Die ehemalige DDR hatte bereits begonnen, aus dem Repertoire der westlichen Konsumgesellschaft die dürstenden Akkus der Massen- und Subkultur aufzuladen. Neben Sexshops, Möbel- und Autohäusern sprossen Videotheken, selbst in ländlichsten Gegenden, aus dem Boden. Zuerst familiär organisiert, in Garagen, Waschküchen und Fluren des Eigenheims. Klein und schmutzig, aber auch nahezu unbewacht durch FSK, BPjM und elterlicher Wachsamkeit. Alterskontrolle? Nein, danke! Hatte man sich doch gerade erst durch eine friedliche Übernahme die Freiheit erschließen lassen und die mannigfaltigen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung in Markt und Kultur entdeckt, wollte man diese auch nicht gleich wieder beschnitten wissen.

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Zwischen Videoparadies und VHS-Hölle

oder: Von der Qual der Wahl. Ein sentimentaler Rückblick.

Videotheken – Tempel der Kultur im Zenit der zweiten Jahrhunderthälfte. Unerschöpflicher Dschungel der Leidenschaften, der Lust, der unerreichbaren Sehnsüchte. Tränke für durstende Augen – Iris und Hirn lechzen nach Sensationen – fernen Orten – großen Geheimnissen. Neidvoll blicken Seraphim, Jupiter und Orpheus herab auf diese Gärten mit all ihren prallen Früchten, zu deren Ernte keine andre Arbeit zu tun ist als einen Plastikhänger vom Haken zu nehmen und ihn bei dem freundlichen Herrn mit der Stirnglatze und dem Vollbart an der Theke abzugeben. (mehr …)

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Helden sterben

Zum Film „Creed“ von Ryan Coogler (für meine Tante Gertrud)

Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, daß ich eines Tages mal im Kino sitzen und mir ansehen würde, wie Rocky Balboa altersschwach, depressiv und mit Chemo-Glatze kotzend über einer Kloschüssel hängt. Vorbei die Zeiten, als der Champ noch sich selbst und die Sowjetunion gleich mit verändern konnte, Clubber Lang sein Großmaul stopfte und die Schweinehälften in der Kühlhalle das Fürchten lehrte. (mehr …)

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And the Oscar goes to female Exploitation!

Die Academy Awards sind als Preis für den weißen männlichen Teil der Gesellschaft gedacht und werden nach diesen Kriterien seit 1929 vergeben.
Aber seit gestern ist der Oscar auch ein Preis des Exploitationkinos. George Millers Marsch durch Outback, Babyschweineställe und die Institutionen mündet mit den meisten vergebenen Trophäen für einen Film 2016 im Mainstream.
Mad Max: Fury Road: Ein Häftling flüchtet mit einer Amazone und einer Schar Schwangeren aus seinem postapokalyptischen Gefängnis vor einem unsterblichen Diktator, um auf halber Strecke dahin zurückzukehren. (mehr …)

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