The Hateful 8, USA 2015

mit Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh
Regie und Drehbuch: Quentin Tarantino

„Let`s slow things down a bit.“ Dieser Satz aus dem Mund der von Samuel L. Jackson oscarreif dargebotenen Figur Major Marquis Warren könnte wie ein Motto über diesem Film stehen, in dem Zeit der alles bestimmende Faktor ist. Über drei Stunden Laufzeit nimmt sich Quentin Tarantino für eine im Grunde sehr einfache Geschichte, die darüberhinaus fast ausschließlich in einem einzigen abgeschlossenen Raum spielt. Aber wie schon so oft bei Tarantino ist hier nicht die Geschichte das eigentlich Wichtige – es ist das Erzählen selbst.
Eine Gruppe von Fremden trifft während eines Schneesturmes in einer abgelegenen Trapperraststätte aufeinander. Sie haben offensichtlich nichts miteinander gemeinsam – ausgenommen dem unerbittlichen Mißtrauen. Keiner ist, wer er zu sein scheint, und jeder trägt unter der Oberfläche ein Geheimnis mit sich herum.
Die Konsequenz mit der Tarantino sein Grundthema – das Mißtrauen – auf allen Ebenen der Geschichte thematisiert, steht ganz in der Tradition der Literatur des 19. Jahrhunderts und erinnert an den Melvill`schen „Confidence Man“, der in immer neuen Verkleidungen die Verführbarkeit und Korrumpierbarkeit des Menschen durch Worte zu beweisen versucht. Jede Figur in diesem Film hat ihren Monolog, jeder versucht irgendwann einmal, jemand anderen von etwas zu überzeugen, und oftmals entscheidet die Überzeugungskraft seiner Worte und seiner Geschichte über Leben und Tod. In einer Schlüsselszene des Films wird eine dieser „Geschichten in der Geschichte“ mit kurzen Intercuts illustriert. Die vermeintliche Erfindung verselbstständigt sich, wird im Geist des Zuhörers lebendig und schließlich handlungsmächtig. An anderer Stelle versucht sich eine Figur, vor dem Galgen zu retten. Entscheidend ist am Ende, ob die Geschichte gut genug erzählt war. Schweigen ist in dieser Welt verbalen Lugs und Trugs Gold und wer schweigt (oder keine gute Geschichte zu erzählen weiß), schaut sich schnell die Radieschen von unten an.
Was „The Hateful Eight“ zu einem außergewöhnlichen Film – auch innerhalb von Tarantinos Schaffen – macht, ist seine Konzentration und Stringenz. Wie bei seinem Vorbild Melville ist die Geschichte in Kapitel mit erzählenden Titeln aufgeteilt, deren Sinn teilweise sogar von einem herrlich inkonsequent eingesetzten OFF-Erzähler erläutert wird. Wie bei einem Zaubertrick lenkt Tarantino mit Worten die Aufmerksamkeit des Zuschauers (und -hörers) vom Wesentlichen ab und sorgt so dafür, daß das Offensichtliche bis zum Schluß eine Überraschung bleibt.
Gleichzeitig schafft er durch das extreme Breitwandformat, welches Weite suggeriert, wo eigentlich die Enge herrscht, eine perfekte Symbiose zwischen dem totalen Sehen und dem totalen Zuhören. Daß man sich nie eingelullt fühlt oder von Dialogschwere überfrachtet ist der Schauspielkunst seines Ensembles gedankt, allen voran Kurt Russel und Samuel L. Jackson. Aber auch das Wiedersehen mit Michael Madsen und Tim Roth macht Freude, und in der Auflösung seiner Geschichte hält Tarantino noch den ein oder anderen Besetzungsjoker bereit.
Von bekannten Gesichtern einmal abgesehen herrscht natürlich die Kumpelhaftigkeit des Tarantinoschen Erzählkosmos vor. Viele der hinlänglich bekannten Elemente aus seinen anderen Filmen sind versammelt und werden als Versatzstücke neu ausprobiert. Anstatt die Filmgeschichte plündert er nun sich selbst. Überraschend oder gar neu ist das natürlich weder inhaltlich, noch formal. Doch wer sich auf das wechselreiche Mörderspiel einläßt, kann die Schichten wie eine Zwiebelhaut ablösen und darunter eine komplexe Versuchsanordnung entdecken.
Anders als im schwachen Vorgängerfilm „Django Unchained“ ist die plakative Rassismuskritik einer differenzierten Darstellung gewichen, die einem Roman von Cormack McCarthy entlehnt sein könnte, wie überhaupt der ganze Film weniger filmischen, als literarischen Vorbildern huldigt. Grelle popkulturelle Referenzen sind selten, die üblichen Mätzchen und Exkurse fehlen fast völlig. An ihre Stelle tritt ein komplexes Zeichensystem, werden visuelle Parallelen eröffnet, die den Blick auf darunterliegende Schichten eröffnen. Die Verquickung von Gerechtigkeit, Mord und Moral in einem aus den Fugen geratenen Gesellschaftskontext werden porträtiert. Beängstigende Parallelen zu einem Amerika, in dem der größte Schwätzer die besten Aussichten im Präsidentschaftswahlkampf hat. Wenn am Ende des Films ein Tötungsakt mit den Worten „das war gut“ zum Abschluß gebracht wird, mündet der Wahnsinn des letzten Akts endgültig in eine Apokalypse im Mikrokosmos der Beschaulichkeit aus der es keine Rettung mehr gibt. Lachen – und das ist neu – kann man über die Gewalt im neuen Tarantino-Film nicht mehr. Und das ist gut so. Abseits von früherer Unbeschwertheit und Ironie, hin zu einem Thesenkino, das möglicherweise eine „erwachsenere“ Schaffensphase einleitet.
Die Fabulierfreude jedenfalls ist ihm geblieben. Sie ist in jeder Szene spürbar. Sogar die obligate Pausenunterbrechung in der Hälfte des Films wird auktorial in die Handlung eingebunden.. Ein Erlebnis, welches primär dem Kinozuscher zugedacht ist und sich stark gegen selbstbestimmte Konsumeingriffe des DVD- oder Blu-Ray-Nutzers und seiner Fernbedienung wendet.
Wie überhaupt die Erstellung einer speziellen 70mm-Fassung für die Aufführung in ausgesuchten Kinos die starke Sehnsucht nach einem Erstarken der klassischen Erzähltradition und seiner Abspielstätten – kurz: nach alter „Größe“, ausdrückt. Anders als Eli Roth mit seiner unsäglichen Kannibalenhommage „Green Inferno“ (siehe Kritik) legt er dabei gestalterisch einen Ehrgeiz und eine Unnachgiebigkeit an den Tag, die er sich zwar natürlich leisten kann, für die man ihn aber auch bewundern muß.

Quelle Beitragsbild: http://screenrant.com/